Die Freude auf ein Wiederhören mit Giordanos „Andrea Chénier“ war groß. Eine herrliche Oper, da stimmt alles zusammen: große (wenn vielleicht auch nicht geniale) Musik, gelungenes Libretto, kompakte, bühnenwirksame Handlung. Die zweitgrößte Motivation für diesen Opernbesuch war Johan Botha. Die Vorfreude bezog sich allerdings weniger auf Botha als Chénier (oder im italienischen Fach im Allgemeinen), sondern mehr auf Botha als Sänger. – Nach einer Aida, die bereits einige Jahre her war, war man sich bewusst, dass man bei Botha im italienischen Repertoire stilistisch wohl Abstriche machen würde müssen.
Botha war – um es mit einem Wort zu sagen – solide. Leider und enttäuschender Weise nicht mehr. Mag sein, er war ein wenig indisponiert – mag sein, er hat stimmlich abgebaut. Diese helle feste schallkräftige Tenorstimme hat sich um Einiges reduziert. So sehr er optisch aus den Festgästen bei seinem Auftritt hervor stach, die stimmlichen Dimensionen konnten mit seinen körperlichen nicht mithalten. Das so dankbare und effektvolle Improvviso ging etwas belanglos vorüber. Einige Töne waren sogar dabei, die nichts Gutes ahnen ließen. Timbre und Charisma als Interpret waren nie seine Stärke, aber Botha kann auch keine Geschichte erzählen: wenig Steigerung im zweiten Teil der Arie, wenn die Stimmung umschlägt, von „e volli pien d´amore pregar“ an und sich gegen Ende hin in eine zornige Anklage steigert, wo phantasievolle Phrasierung und kraftvoller accento gefordert sind. Daraus macht er nicht sehr viel mehr als eine Note korrekt an die nächste zu reihen. Die Höhe ist sicherer als die Mittellage, die etwas unausgeglichen ist, hier und da schleicht sich ein leichter „wobble“ ein, der im Laufe des Abends abnimmt. „Credo a una possanza arcana“ und „Come un bel dì di maggio“ gelingen besser, er schattiert und zeigt ein schönes mezza voce. Schade, dass dieser überdurchschnittliche Sänger im italienischen Fach derart unbeholfen wirkt. Allerdings singt Botha so ehrlich wie nur wenige andere – wo er sparen könnte macht er es sich nicht leicht, sondern singt aus und bemüht sich zumindest als Sänger um so etwas wie musikalische Nuancierung.
Nach Einigem an Vorschusslorbeeren im deutschen Sprachraum gehört hatte, war man auf Norma Fantinis Maddalena gespannt, obwohl hier und dort bereits von „tremolieren“ und „gepresster Höhe” zu lesen war. Im charmanten Wort-Geplänkel mit Bersi, eigentlich im ganzen ersten Akt hinterlässt sie keinerlei markante Spuren. „Eravate possente“ und das darauffolgende Duett im zweiten Akt offenbaren eine Stimme von im Grunde überschaubarem Volumen, künstlich aufgebläht und aufgetrieben, in allen Registern schlecht fokussiert und verquollen und tremolierend, etwas kurz in der Höhe. Auch hat sie die unschöne Angewohnheit, Vokale zu verfärben, um einige unangenehme Noten besser nehmen zu können – das hört sich dann etwa so an: „Fù in quel duluuure che a me venne l´amuuuroo, vuuoce piena d´armo-eee-oooo“. Aufgrund der mangelhaften Diktion (ein echtes vorne sitzendes i habe ich von ihr den ganzen Abend nicht gehört) geht „La mamma morta“ recht unbedeutend vorüber. Mangelnde stimmliche Präsenz versucht sie mit dramatischer Gestikulation und leidenschaftlichem Einsatz zu kompensieren. Zusammenfassend kann man sagen: keine der allerschlechtesten, aber eine unbedeutende Sängerin – nicht besser und nicht schlechter als Dutzende andere.
Da hätte Franco Vassallo ganz andere Karten. Zuallererst prachtvolles Stimm-Material: ein herrlich dunkel gefärbter, kräftiger Bariton mit voller Höhe in der Art von Aldo Protti, der sich allerdings auch zu sehr auf sein schönes Timbre und seinen vollen Klang verlässt. Keine riesige Stimme, aber kompakt und nicht schlecht geführt, wenn er weniger drücken würde, um zusätzliches Volumen aus ihr heraus zu holen, sondern sie mehr fließen ließe. Einer der ganz wenigen Lichtblicke im Bariton-Fach seit Lado Ataneli, der mittlerweile auch sein schönes Potential wieder verbrüllt hat. Zwar ist Vassallo hier besser eingesetzt als in der Rolle des feinsinnigen Jago, aber auch der Gerard gerät zum eindimensionalen Wüstling, wenn er nur gebrüllt wird. Die große Szene im dritten Akt schreit geradezu nach Schattierungen, Farben, Nuancen. Hier gibt es viele verpasste Gelegenheiten. Über das ganze nachdenkliche „io della Redentrice figlio“ und „un dì, m´era di gioia“ oder die Phrase „com´era irradiato di gloria il mio cammino“ etwa, hastet er hinweg, um sich auf „la coscienza nei cuor ridestar delle genti“ zu stürzen und das abschließende D heraus zu plärren. Immer lässt er im Zweifelsfall dem plumpen Effekt den Vortritt. Schade – was könnte das für ein Verdi-Bariton werden, wenn zu der Stimme weniger Rauhbein, sondern auch ein adäquater Interpret und differenzierter Sänger dazu kämen.
Norbert Ernst sprang für Michael Roider ein, fiel angenehm auf und sang ein gut gelungenes „Donnina innamorata“. Zoryana Kushpler als Bersi war vor allem bei „Vivere in fretta“ so gut wie unhörbar, Maria José Montiel drückte gewaltig auf die Bruststimme.
Der Veteran Pinchas Steinberg dirigierte einen kraftvollen, dichten und schwungvollen, aber nicht oberflächlich knalligen Chénier. Nicht immer konnten die Sänger mit seiner Dynamik mithalten. Das Schluss-Duett etwa ging ein wenig in der Euphorie des Orchesters unter.
Spontaner, begeisterter Applaus nach Arien oder Ensemble-Szenen wird in Wien immer seltener. Nach “La mamma morta” zögerlicher bis anerkennender Applaus – auch die wenigen Touristen haben die Arie wohl aus dem Film “Philadelphia” erkannt. Nach Vassallos großer Szene und spontaner, wenn auch nicht überwältigender Applaus. Erst am Ende der Oper und bei den Solo-Vorhängen wird kräftig applaudiert. Auch diese 95. Aufführung der Produktion aus dem Jahre 1981 wirkt immer noch was Atmosphäre und optische Wirkung betrifft. Man mag ihr nicht zu Unrecht eine gewisse liebenswerte Naivität unterstellen, doch scheint diese von vielen belächelte Oper (Gott sei Dank!) nicht attraktiv genug zu sein, um eine radikale Erneuerungs-Kur zu rechtfertigen.
Andrea Chénier:
Johan Botha | Andrea Chénier
Norma Fantini | Maddalena di Coigny
Franco Vassallo | Carlo Gérard
Zoryana Kushpler | Bersi
Maria José Montiel | Madelon
Marco Caria | Roucher
Norbert Ernst | Incroyable
Dir. Pinchas Steinberg
Vienna poco più di 50 anni fà:
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Liebe Frau Kurz,
Das war sicherlich keine wunderbare Vorstellung, aber vor einigen Jahren waren in Barcelona bei “Chénier” Deborah Voigt und José Cura zu hören. Ich bin sicher, dass Botha und Fantini viel besser gewesen sind; heutzutage kann man schon sich über so eine Chénier-Vorstellung freuen. Ich meine, dass ich leider keine aktuelle bessere Besetzung für Chénier mir vorstellen könnte…
Schöne Grüsse.
caro Nicola, non stento a credere. Quella performance del Liceu mi è nota, ed era semplicemente spaventosa. Certo che se Andrea non prende un clap alle arie a Vienna………il problema di questo repertorio si sta facendo molto molto grande. Con quali tenori spinti eseguiremo il verismo o certo verdi in futuro?
Certo, Giulia, il problema è molto grande, e non solo nel repertorio spinto.
La più bella produzione di Andrea Chénier è indubbiamente quella di Otto Schenk del 1981 alla Staatsoper con la direzione di Nello Santi.
Hanno cantato Placido Domingo, Piero Cappuccilli, Gabriela
Benackova e Rohanciz Yachmi.
Io ero presente e mi ricordo le ovazioni dopo “un di nell’azzurro spazio” e “nemico della patria” e “la mamma morta” e infine “era un bel di di maggio”. Una cosa indimenticabile
di anni non ne conto pochi, ma sopratutto ne conto molti come ascoltatore ossia quarantatrè. Ciò nonostante di Andra Chenier, degni non he ho mai sentiti. Per me Andrea Chenier evoca inquivocabilmente con la sua retorica da italietta in crisi fin de siecle e conseguenti trombonate Pertile, Gigli, de Muro, la Caniglia, la Tebaldi, la Stella, Galeffi e Danise e sul podio nomi come Serafin, Votto, Panizza, che vanno derisi e vilipesi. Erano gli splendidi esecutori di un titolo, che faceva parte del loro bagaglio culturale.